Was soll ich tun, wenn mein Pferd nicht rund läuft und sich irgendwie steif anfühlt? Viele Menschen haben das Gefühl, ihr Pferd sei blockiert und fragen sich, ob es sinnvoll ist, ihr Pferd einrenken zu lassen. In diesem Artikel möchte ich meine Erfahrungen zum Thema "Einrenken" aus meiner Arbeit mit Mensch und Tier teilen.
Vielleicht kennt Ihr die Arbeit eines Chiroprakters auch aus eigener Errfahrung. In manchen Disziplinen wird die Technik als Justierung bezeichnet. Eine vermeintliche Gelenksblockade wird durch einen kurzen Bewegungsimpuls mit (hoffentlich) kleiner Bewegungsamplitude gelöst und es knackt. Meist muss dabei das Gelenk vorher sanft bewegt werden, so dass sich alle Muskeln tief entspannen. Dann wird einmal kräftig geruckt und es knackt und man fühlt sich leichter und befreit.
Vor vielen Jahren hatte ich dazu ein interesantes Gespräch mit einer Freundin, welche in einem großen Krankenhaus in Lyon arbeitete. Wir kamen auf das Thema Osteopathie und Einrenken und ich sagte ihr, dass ich aus vielen Gründen grundsätzlich davon abrate. Sie konnte das aus Erfahrung bestätigen: Regelmässig wurden nämlich Menschen in die Notaufnahme gebracht, die bei solchen Behandlungen richtig verletzt wurden.
Das kann auch schiefgehen: Sich den Nacken einrenken lassen.
Sich selber durch eine "falsche Bewegeung" richtig zu verletzen ist eigentlich fast unmöglich. Unser Nervensystem weiß genau, wann es gefährlich wird und schickt Schmerz bevor es zu einer Verletzung kommen kann. Gefährlich wird es aber, wenn dieser Schutzmechanismus ausgetrickst wird: Durch das langsame entspannte Bewegen des Halses zum Beispiel, wird der Tonus der Hals- und Nackenmuskulatur immer weiter reduziert, was für solche langsamen feinen Bewegungen auch richtig ist. Wird nun plötzlich und schnell der Nacken gedreht, so hat das Nervensystem keine Zeit, schützend einzugreifen. Meist geht das gut und es knackt nur ein bisschen. Aber immer mal wieder geht es halt auch schief und man wird verletzt.
Aber auch wenn es gut geht: Die Wirkung einer solchen Behandlung ist in der Regel bereits am nächsten Tage verpufft. Das ist auch logisch: Die Knochen wurden vielleicht bewegt und eine bessere Position gebracht. Aber wie entsteht denn nun überhaupt so eine Position? Knochen und Muskeln werden durch das Bindegewebe, die Faszien miteinander verbunden. Der Knochen geht dahin, wo ihn die Faszie hinzieht. Also ist die Haltung und Bewegung bei Pferd und Mensch letztlich das Abbild der individuellen Faszienspannung. Wird also nun nur sehr punktuell eine Gelenkstellung oder eine Spannung im Gelenk verändert, so wird das Gelenk doch in den folgenden Stunden wieder genau in die Postion kommen und sich wieder so bewegen, wie es das fasziale Spannungsmuster vorgibt.
Letztlich bestimmt die Gewebespannung die Körperhaltung
An der Frage, wie mit Blockaden oder Steifheit beim Pferd umzugehen ist, zeigt übrigens auch schön auf, wie sehr sich das Denkmodell der Faszientherapie von der Osteopathie oder Chiropraktik unterscheidet. Zeigt das Pferd Probleme, werden in den letzteren Disziplinen viele Beweglichkeitstest durchgeführt. Darunter liegt immer die Annahme, dass es im Pferdekörper eine Stelle oder eine Ursache gäbe, die man beheben und damit das Problem aus der Welt schaffen könne.
Man kommt dann zu Aussagen wie "Es liegt am ILS" oder "Die Halswirbel müssen eingerenkt werden". Der Faszientherapeut denkt anders: Er weiss, dass das Bindegewebe überall im Körper ist und ständig durch Gebrauch und Haltung geformt wird. Leider wird dieses Wissen oft nicht zu Ende gedacht und es wird zwar in Lehrbüchern zur Physiotherapie und Osteopathie die Bedeutung der Faszien immer stärker betont. Nach dem Motto: Ja, das mit Faszien wissen wir und machen das auch. Leider aber wird die Denkwelt der Physiotherapie nicht verlassen und weiter nach dem einen Problem an der einen Stelle gesucht, das dann "ganzheitlich" behandelt wird.
Faszien konsequent denken heist aber: Wenn die Faszien alles verbinden und sich dem Gebrauch anpassen, dann muss folgerichtig auch das Spannungsefüge im gesamten Körper behandelt werden. Wer nur das einzelne Gelenk einrenkt, wer nur die Muskelverspannung an der einen Stelle löst, der wird immer nur ganz kurzfristige Erfolge erzielen, das Problem aber kaum langfristig lösen können.
Und das ist noch der günstigste Ausgang, denn es kann wie gesagt auch schiefgehen. Als ich begann mich in der Welt der manuellen Therapie am Pferd umzuschauen, sah ich mit Entsetzen, dass der wohl prominenteste Therapeut leider ein massiv übergewichtiger Mensch war, der ohne jegliches Feingefühl am langen Hebel kräftig den Pferden am Bein riss.
Kleiner Exkurs zum Thema, wie eigentlich ein (guter Therapeut) auszusehen hat: Ich sehe das ganz extrem 😉 so: Ein Schwimmlehrer muss schwimmen können. Ein Englischlehrer muss im Pub ein Bier bestellen können. Und wenn Euer Ernährungsberater selber einen dicken Bierbauch hat und seinen Kaffee mit 5 Würfelzucker süßt, so solltet Ihr ganz schnell weglaufen.
Dein Ernährungsberater??
Ein guter Therapeut zeigt durch seine eigene aufrechte Körperhaltung und seine gelösten entspannten Bewegungen, dass seine Denkwelt und sein Tun zumindest an ihm selber funktioniert. Übrigens: Ein Studium der Medizin bezeugt nur, dass jemand viel weiss. Ob der Mensch auch die wichtigen Dinge weiss, sieht man sofort an seiner körperlichen Verfassung.
Wie gut kann nun ein Mensch, der selber kaum laufen kann und einen riesigen Bauch vor sich herschiebt, feinste Spannungen erfühlen und mit Gefühl und Geduld ertasten und lösen? Kann er nicht. Er kann aber das Hinterbein des Pferdes hochheben und mit seinen über 100 kg fest dran ziehen. Das geht oft gut und wird dann im Fernsehen gezeigt. Der Knochenbrecher - Nomes est Omen! - hat aber auch Pferde verletzt.
Ich persönlich würde so einen groben Menschen nie an mein Pferd lassen. Auf einem Lehrgang erzählte mir auch prompt eine Teilnehmerin, dass der ostfriesische Knochenbrecher das junge Pferd einer Bekannten bei der Behandlung so verletzte, dass es noch in der Nacht eingeschläfert werden musste. Das ist dann die bittere Realität, die im TV nicht gezeigt wird. Eine Osteopathin für Pferde berichtete mir übrigens, dass unter ihren Kollegen gilt: "Hast Du viel zu tun?" "Ja, der Tamme war wieder da.".
Dabei ist das Knacken an sich nicht schädlich, aber es sollte anders herbeigeführt werden. Nimmt man nämlich überflüssige Spannung aus dem gesamten Bewegungsapparat, so ist bei kleinsten Bewegungen, die das Pferd völlig alleine durchführt, oft ein Knacken zu hören, wenn sich die Gelenke neu sortieren. Ist das Spannungsgefüge als Ganzes harmonisiert, so muss das auch nicht immer wieder künstlich gemacht werden, sondern ist wirklich nachhaltig behoben.
Durch langsames gefühlvolles Arbeiten werden Verletungen vermieden und Spannungsmuster nachhaltig gelöst.
Und: Da bei richtiger Faszienarbeit alle Bewegungen in Zeitlupe ausgeführt und in ihrer Geschwindigkeit vom Pferd bestimmt werden, hat das Nervensystem des Pferdes alle Zeit der Welt, Verletzungen zu vermeiden. Ist dem Pferd nämlich etwas unangenehm oder droht gar eine Verletzung, so dann das Pferd jederzeit ganz in Ruhe einen Schritt zur Seite machen und sich dem Druck entziehen.
Neben der Aktivierung des Parasympathikus ist die sichere Vermeidung von Verletzungen einer der wichtigsten Gründe, am Pferd (und am Reiter!) immer in Zeitlupe zu arbeiten.
Also: Knacken und Einrenken können das Resultat guter Körperarbeit sein, sind aber oft nicht die beste Technik für unsere Pferde. Es knackt von selber, wenn Spannungsmuster aufgelöst werden und so bleibt die Behandlung auch verletzungsfrei.
Eine Einführung in das richtige Lösen faszialer Spannungen findet Ihr natürlich in meinem Videokurs oder erlernt es direkt auf unseren Lehrgängen. Viel Spaß!